02.02.2019

Wir, die Metropolitanregion

Im Bestreben, als Metropolitanregion wahrgenommen zu werden, verfolgt die Wirtschaft der Grossregion St. Gallen – Bodensee – Rheintal ein erstes gewichtiges Ziel: Die sehr viel bessere Erreichbarkeit der Region.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererZur Metropolitanregion zu werden, ist ein Ziel, das sich die Präsidenten der Wirtschaftsverbände der Kantone AR, SG und TG vor zwei Jahren gesteckt haben. Politisch hatten sich Karin Keller-Sutter und Paul Rechsteiner für eine Metropolitanregion stark gemacht, mit Blick auf die mit ihr verbundenen Vorteile.Nicht nur investitionsfreudige Unternehmen bevorzugen gut erschlossene, starke Wirtschaftsräume, auch der Bund investiert künftig verstärkt in Metropolitanräume. Konkret geht es um die Grossregion von Wil über St. Gallen, die Bodenseeregion, St. Margrethen, Altstätten und Buchs bis Sargans, ausserdem bis nach Bregenz, Dornbirn und Feldkirch, sogar das Fürstentum ist noch dazu zu denken. Mit Rheintal, sagt Rolf Geiger, der Geschäftsleiter von Regio Appenzell AR-St. Gallen-Bodensee, sei der ganze Talboden gemeint.Es gehe darum, gemeinsam mit deutlich mehr Gewicht Anliegen auf Bundesebene vorzubringen, wirtschaftliche Kraft als Gross­region erfolgreich zu nutzen und klar zu machen, dass es «zwischen Zürich und München noch etwas anderes Substanzielles gibt».Gemeinsam mehr erreichenOb ein paar Gemeinden oder ein Kanton in Bern etwas erreichen wollen oder ob ein paar Kantone zusammen, noch dazu gemeinsam mit dem Vorarlberg, vorstellig werden, ist freilich ein markanter Unterschied. Ausserdem geht es innerhalb der beschriebenen Region darum, dank grossräumigen Denkens die eigenen Anliegen überhaupt zu erkennen.Dass die Anerkennung als Metropolitanregion viel mehr ist als die ehrenvolle Anerkennung eines Titels, zeigt sich, wenn grosse Projekte zur Diskussion stehen. So hängt etwa der Ausbau von Autobahnen auf sechs Spuren – oder der Verzicht darauf – mit der Bedeutung einer Region zusammen.Auch für den Ausbau des Fernverkehrs auf der Schiene ist eine Anerkennung als Metropolitanregion entscheidend. Denn während die SBB eigenwirtschaftlich das sogenannte Pre­miumnetz mit Blick auf die Metropolitanregionen betreiben, muss die Bevölkerung zwischen den Grossräumen mit einem sogenannten Basisnetz vorliebnehmen, das von den Kantonen mitzufinanzieren ist.Mit dem Premiumnetz ist weitgehend das heutige Inter- und Eurocity-Netz gemeint. Gegenüber dem Basisnetz, dessen Züge die Regionen verbinden, ist das Premiumnetz eine Art übergeordnetes Netz mit deutlich höheren Qualitätsansprüchen. So sind etwa das Rollmaterial, die Verpflegung oder die Zugbegleitung auf entsprechend höherem Ni­veau.Rolf Geiger sagt: «Wir möchten, dass die SBB erkennen: Das Rheintal ist nicht das Ende der Schweiz.» In den Köpfen der Entscheidungsträger soll das Rheintal nicht als ein «echli urbaner Ausläufer der Region Zürich» wahrgenommen werden, sondern als Teil einer Metropolitanregion, die mit den Regionen Bern, Basel oder dem Tessin vergleichbar sei, sagt Geiger, der vor seiner jetzigen Tätigkeit beim Bundesamt für Raumentwicklung als stellvertretender Leiter der Sektion Agglomerationspolitik gewirkt hatte.Kein Mangel an konkreten WünschenWährend die Bevölkerung damit beschäftigt ist, sich mit dem Begriff Metropolitanregion überhaupt erst vertraut zu machen und ihn sodann bestenfalls zu verinnerlichen, sind die treibenden Kräfte gedanklich schon weit und um Wünsche nicht verlegen. Weit oben auf der Liste steht natürlich die Autobahnverbindung zwischen dem St. Galler Rheintal und dem Vorarlberg, also das Mehr-Jahrzehnte-Projekt S18, aber auch die Einbindung des unteren Rheintals und des Vorarlbergs ins Fernverkehrsnetz der Schweiz. Die Verbindung St. Gallen–Dornbirn und St. Gallen–Bregenz durch Schnellzüge im Stundentakt sind ebenso ein Begehren wie generell vorbildliche S-Bahn-Verbindungen und der geplante Stadttunnel Feldkirch in den Gemeinden Feldkirch und Frastanz. Weil seine vier Tunnel­arme in einem unterirdischen Kreisverkehr zusammenlaufen, wird er auch Tunnelspinne Feldkirch genannt.Als der Startschuss zur Schaf­-fung einer Metropolitanregion vor gut zwei Jahren fiel, waren die Präsidenten der Wirtschaftsverbände aus den Kantonen Ap­penzell Ausserrhoden, St. Gallen und Thurgau sich in einem Punkt einig: Es braucht eine gemeinsame Vision – ein für alle gewichtiges Thema. Aus dem Wahlkreis Rheintal ist selbstverständlich der hiesige Arbeitgeberverband vertreten, aber auch der Verein St. Galler Rheintal als Vertretung von einer der vier eingebundenen Agglomerationen.Nach einem unlängst durchgeführten Workshop, bei dem die möglichst noch viel bessere Erreichbarkeit der Region als zen­trales Thema bestimmt wurde, ist die Unterzeichnung einer Charta der nächste Schritt. Wahrscheinlich im Juni wird er getan. In dieser Charta wird ausser den gemeinsamen Zielen und der gewählten Strategie beschrieben sein, wie unsere Metropolitanregion sich organisatorisch aufzustellen gedenkt.Als Region nicht abgehängt werdenBrigitte Lüchinger, die Präsidentin des Arbeitgeberverbandes Rheintal, hebt die Wichtigkeit hervor, als Region nicht abgehängt zu werden. Gerade das St. Galler Rheintal und das Vorarlberg als starker Wirtschaftsstandort hätten ein grundlegendes Interesse an einer Entwicklung des Grossraums St. Gallen– Bodensee–Rheintal. Das setze jedoch die Abkehr vom Gärtli­denken voraus und die Erkenntnis innerhalb der Metropolitanregion, dass gemeinsame Stärke zum Vorteil aller sei.Brigitte Lüchinger hofft, dass der gemeinsam bekundete Wille auch dann, wenn es darauf ankomme, vorhanden sei.Wie komplex das Thema ist, zeigt sich speziell im grenzüberschreitenden Bestreben, die Regionen zusammenzuschweissen. Das Einkaufsverhalten der Menschen, das Arbeiten über der Grenze, verschiedene Währungen und andere Gesetze sind Beispiele, die das Zusammenspannen erschweren. Diesbezüglich bestehen Berührungspunkte mit dem entstehenden Agglomerationsprogramm, bei dem St. Margrethens Gemeindepräsident Reto Friedauer als Vorsitzender des Vereins Agglomeration Rheintal federführend ist. Ein besonderes Problem hat er im grenzüberschreitenden öffentlichen Verkehr zu meistern, weil die Tarife dies- und jenseits des Rheins allzu sehr auseinanderklaffen.Dazu kommen die visionären Gedanken, von denen schwer zu sagen ist, wie nahe bei der Wirklichkeit sie sich bereits befinden. Man denke nur an Drohnen, die viel transportieren könnten, an selbstfahrende Autos, an unterirdische Verbindungsprojekte oder an die Zukunft des Flughafens Altenrhein, dem wirtschaftlich eine enorme Bedeutung zukommt, der aber den Ansprüchen der Wirtschaft nicht wirklich genügt.Zu guter Letzt könnte der Name beschäftigen. Metropolitanregion St. Gallen–Bodensee–Rheintal ist nicht sicher der richtige Name für eine innovative Region von landesweiter und in­- ternationaler Bedeutung. Wer keinesfalls schwerfällig, sondern wirtschaftlich schwungvoll voranschreitet, hat es verdient, sich einen knackigen, eingängigen Namen zu geben.