Bodensee 12.08.2023

«Das Problem ist, dass immer mehr Personen ohne Führerschein unterwegs sind»

Nach einer Beinahe-Kollision von Boot und Passagierschiff: Dass es immer häufiger zu brenzligen Situationen kommt, liegt daran, dass sich vermehrt Wassersportler und -sportlerinnen auf dem See tummeln.

Von Tabea Leitner
aktualisiert am 12.08.2023

Ende Juli kam es kurz vor dem Ufer von Langenargen (Deutschland) zu einer Streifkollision zwischen dem Schweizer Kursschiff MS St. Gallen der Bodensee Schifffahrt AG und einem Motorboot. Dabei entstand ein Sachschaden von 15'000 Euro, verletzt wurde niemand.

«Kollisionen sind zum Glück selten, brenzlige Situationen jedoch erleben wir häufig», sagt Silvan Paganini, Technischer Betriebsleiter Nautik und Werft der Bodensee Schifffahrt AG. Der Seepolizei-Dienstchef Marcel Kuhn bestätigt: «Es kommt etwa alle drei bis vier Jahre zu einem Vorfall mit einem Kursschiff, der zum Ausrücken der Seepolizei führt.» Neben Unfällen mit Mietbooten sei es auch schon zu Zwischenfällen mit einer Taucherin gekommen.

Stand-up-Paddle vor dem Fenster versperrte die Sicht

Auf Videoaufnahmen konnte man sehen, dass sich der Vorfall bei einer Kreuzungssituation ereignete. Das Motorboot sei mit hoher Geschwindigkeit auf die «MS St. Gallen» zugefahren. «Auf dem Video sieht man, dass auf der Backbord-Seite ein Stand-up-Paddle vor dem Fenster lag und wohl die Sicht des Bootsführers beeinträchtigte», sagt Paganini. Das Kursschiff sei wahrscheinlich im toten Winkel des Bootsfahrers gelegen.

Nachdem der Bootsführer wiederholt nicht auf die Warnsignale des Kursschiffes reagiert hatte, vollzog die «MS St. Gallen» einen Notstopp. «Dies konnten wir mittels GPS-Daten beweisen», sagt Paganini. Zwar sei von Amtes wegen Strafanzeige von der Staatsanwaltschaft Konstanz gegen beide Kapitäne eingereicht worden. Jedoch ist Paganini zuversichtlich, dass der Kapitän der «MS St. Gallen» ohne juristische Konsequenzen davonkommt. Laut Paganini ist ein Notstopp oft die letzte Massnahme, die bei einer brenzligen Situation ergriffen wird. Denn ein solcher gefährde die Gäste und das Personal. Auch für das Schiff selbst ist ein Notstopp ungünstig. Die meisten Schiffe der Bodensee Schifffahrt AG haben alte technischen Anlagen. «Die Getriebe verzeihen uns nur wenige solcher Massnahmen.»

Die Kapitäne haben laut Paganini immer häufiger mit brenzligen Situationen zu kämpfen. «Das Problem ist, dass immer mehr Personen ohne Führerausweis unterwegs sind.»

Damit meint Paganini Stand-up-Paddler oder Pedalofahrer, die am Sonntagmorgen entscheiden, den Tag auf dem See zu verbringen, jedoch keine Kenntnisse von den Verkehrsregeln hätten. Gerade in Hafeneinfahrten und an Landestellen nehme das Gefahrenpotenzial exponentiell zu. Dort bewegen sich oft Hobby-Wassersportler, und es gibt auch immer wieder Jugendliche, die von den Anlegestellen springen. «Die Leute wissen oft nicht, wie sie sich korrekt zu verhalten haben, geschweige denn, wie und wann sie ausweichen müssen.»

Das sei eine Herausforderung für die Kapitäne der Bodensee Schifffahrt AG, denn «genau in solchen Situationen sitzen sie oft in der Falle». Paganini verweist dabei auf eine Kampagne des Bundesamts für Verkehr, welche die wichtigsten Verhaltensregeln für Wassersportler aufzeigt.

«Hilfe auf dem Bodensee ist nicht immer möglich»

Während Unfälle mit Kursschiffen höchst selten sind, ist die Häufigkeit bei Motorbooten etwas höher. Die meisten gemeldeten Vorfälle stünden laut Marcel Kuhn im Zusammenhang mit Selbstüberschätzung und Unachtsamkeit der Schiffsführer. Inwiefern spielt dabei der Alkohol eine Rolle?

Kuhn hält fest, dass bei Verkehrskontrollen regelmässig Stichproben bei Schiffsführern gemacht werden, um den Alkoholpegel zu testen. Im Rahmen von jährlichen, international angelegten Grosskontrollen hätten von rund 450 Stichproben lediglich 5 den Grenzwert von 0,8 Promille überschritten. Daher sei übermässiger Alkoholkonsum kein massgebender Grund für Unfälle auf dem Bodensee.

«Vielmehr entstehen Unfälle dadurch, dass sich Schiffsführer nicht ausreichend informieren und von Strömungen, Stürmen oder Problematiken in Flussstrecken überrascht werden», so Kuhn. Die Seepolizei stelle auch immer mehr eine «Vollkasko-Mentalität» bei ungeübten Wassersportlern fest. Viele Leute gingen davon aus, dass ihnen im Notfall sofort geholfen werden könne. Kuhn: «Auf dem Bodensee ist Erste Hilfe jedoch nicht jederzeit möglich.»

Allein die Seepolizei Thurgau sei für über 70 Kilometer Uferabschnitt zuständig, die von den vier Stützpunkten Diessenhofen, Steckborn, Kreuzlingen und Romanshorn aus überwacht werden. Pro Posten hätten jeweils zwei Seepolizisten Pikettdienst. «Trotz dieses grossen Rettungsdispositivs können wir nicht immer rechtzeitig vor Ort sein», betont Kuhn. Zur Verstärkung werde auch mit der Wasserpolizei Schaffhausen, der Seerettung Arbon und der Wasserschutzpolizei Baden-Württemberg zusammengearbeitet.

Gerade bei Stürmen würden sich die Ereignisse innerhalb kurzer Zeit häufen. «Dann müssen wir die Einsätze gemäss unseren Möglichkeiten priorisieren.» Umso wichtiger sei es, dass Bootsführer gut vorbereitet in See stechen, um Unfälle so gut wie möglich zu verhindern. Dazu gehöre, dass man sich über Wetterverhältnisse, gesetzliche Vorschriften des jeweiligen Gewässers, Wassertemperaturen und Fahrpläne der Kursschiffe informiere.