Suchaktion vor 1 Stunde

Geheimnis gelüftet: Verschwundene Gin-Kugel auf dem Grund des Bodensees aufgetaucht

Das Mysterium um den Verbleib der Gin-Kugel vom Bodensee ist gelöst: Mit Hilfe von Silvan Paganinis Unterwasserdrohne wurde die verschwundene Gin-Kugel lokalisiert.

Von Raphael Rohner
aktualisiert vor 1 Stunde

Eiskalter Wind und kaum Sicht an diesem Dezembermorgen auf dem Bodensee vor Romanshorn. Unterwasser-Pionier Silvan Paganini wurde von der Redaktion für eine besondere Recherche engagiert. Paganini, bekannt geworden mit dem letztlich gescheiterten Vorhaben, das Dampfschiff «Säntis» aus dem Bodensee zu bergen, soll mit seiner Unterwasserdrohne nach einer verschwundenen Gin-Kugel suchen. «Das ist eine Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen – die Kugel ist nicht besonders gross, und im Gebiet, wo wir suchen werden, hat es einige Objekte auf dem Seegrund», sagt er.

Die 800 Kilogramm schwere, mit Gin gefüllte Metallkugel verschwand 2022 spurlos vom Grund des Bodensees. Versenkt worden war sie zu Reifungszwecken: Die Inhaber der Romanshorner Event- und Cateringfirma Fishgroup versprachen sich durch die spezielle Lagerung des Gins auf dem Seegrund einen intensiveren Geschmack des Destillats. Das Mysterium um die verschwundene Ginkugel sorgte in der Folge für zahlreiche Gerüchte, Mutmassungen und internationale Schlagzeilen. Unsere Zeitung berichtete mehrfach über den Fall. Zahlreiche Recherchen verliefen jedoch im Sand, beziehungsweise führten nur zu neuen Fragen.

Mysteriöse Mails und Abdrücke auf dem Grund des Bodensees

Diese Zeitung bekam zuletzt exklusiv Einsicht in die Untersuchungsakten der Polizei – und recherchierte weiter. Die Einvernahmeprotokolle und der Bericht der Seepolizei zeigen, dass die Suche ergebnislos verlaufen war. Nach dem Verschwinden der Kugel hatten Spezialisten mit Sonargeräten nach ihr gesucht, und die Polizei war mit Tauchern im Einsatz gewesen. Es wurden Abdrücke im Seeboden gefunden, die auf einen Diebstahl hindeuteten. Dazu gab es einige Spuren: unter anderem anonyme Mails, in denen jemand behauptete, die Gin-Kugel aus dem Wasser gefischt zu haben. Oder einen Facebook-Post, laut dem jemand Gin verschenken wollte. Doch alles Schall und Rauch. Sämtliche Ermittlungen führten ins Nichts.

Doch was, wenn die Gin-Kugel gar nie gestohlen wurde und noch immer auf dem Grund des Sees liegt? Offizielle Stellen verneinten dies mehrfach. Dies, da man die entsprechende Stelle im See nach dem Versenken der Kugel im August 2022 gründlich abgesucht habe. In den Untersuchungsakten zeigen Fotos die Anzeige der GPS-Geräte beim Versenken der Gin-Kugel. Auch die Kantonspolizei Thurgau erklärt, man habe im Umkreis von 50 Metern alles untersucht und nichts ausser Abdrücke gefunden. Trotzdem hielt sich das Gerücht hartnäckig, die Kugel liege irgendwo unerkannt im Bodensee.

Silvan Paganini setzt seine High-Tech-Unterwasserdrohne ein.
Silvan Paganini setzt seine High-Tech-Unterwasserdrohne ein.

Deshalb sucht Silvan Paganini nun erneut nach der Kugel – mit der Drohne, die er für Bergungen und Wrackforschungen selbst gebaut hat. Zuerst fährt er mit dem Boot über die Stelle, wo die Kugel versenkt wurde. Das Sonargerät zeigt die Konturen des Seegrundes, immer wieder erscheinen Punkte. Paganini markiert sie als GPS-Wegpunkte. Sein Roboter verfügt über Kameras, Greifarme und ein Hightech-Sonar. «Diese Konstruktion ist einzigartig in der Schweiz und kostet ein Vermögen», sagt er. Allein die Kosten für die Teile belaufen sich auf rund 100'000 Franken. Dann lässt er die Drohne ins Wasser. Sie versinkt im eiskalten Bodensee.

Und sie liefert erste Bilder: Umrisse, dann klare Aufnahmen. Laut Polizeiakten wurden die Gin-Kugeln jeweils in der Nähe eines alten Wasserstutzens gelagert. Tatsächlich finden sich dort mehrere quadratische Abdrücke, die zum Fundament passen würden – von der Kugel jedoch keine Spur. «Da ist schon etwas auf dem Grund des Sees», sagt Paganini. «Das Sidescan-Sonar sieht in beide Richtungen je 150 Meter weit. Jetzt müssen wir die einzelnen Punkte nur noch erkunden.»

Der Wirbel um das Verschwinden der Gin-Kugel belastete auch deren Besitzer Marcel «Cello» Fisch. Immer wieder wurde er verdächtigt, die Kugel selbst versteckt zu haben – als PR-Aktion. Sein Bodensee-Gin wurde durch den Fall in der Tat weltweit bekannt. «Die Sache belastet uns noch heute», sagt er. «Wir mussten eine neue Kugel herstellen lassen und uns um all die Anfragen kümmern.» Eine Ersatzkugel wurde tatsächlich gefertigt und erneut für einige Monate im See versenkt.

Unterdessen stösst Silvan Paganinis Drohne auf weitere Objekte: einen überwachsenen Anker, Baumstämme, Metallteile. «Wäre die Kugel noch da, wäre sie längst gefunden worden», sagt er. «Wir können nur auf Glück hoffen.» Am Ende bleibt nur noch ein kleiner Schatten auf dem Sonar – weit entfernt von den ursprünglichen Koordinaten. Paganini ist skeptisch, steuert aber darauf zu.

Auf den Sonarbildern sind mehrere Punkte auf dem Seegrund zu erkennen.
Auf den Sonarbildern sind mehrere Punkte auf dem Seegrund zu erkennen.

Die verschwundene Gin-Kugel ist aus Edelstahl gefertigt, fasst rund 220 Liter Gin und war aus Sicherheitsgründen auf einem Betonsockel befestigt. Rund 40'000 Franken betrug ihr Verkaufswert. Eine schwarze Blache verhinderte, dass sich Netze oder Anker verfingen – doch genau diese Blache macht eine Suche auf dem dunklen, mit Muscheln überwachsenen Seeboden besonders schwierig.

Der kleine Punkt entpuppt sich als geheimnisvoller Hügel, überwachsen von Quaggamuscheln. Paganini starrt auf die Bildschirme: «Das sieht extrem seltsam aus hier!» Wir zeigen ihm ein Foto der Kugel mit der schwarzen Blache, aufgenommen vor dem Versenken. Paganini wird still, manövriert die Drohne noch einmal um das Objekt – dann ruft er:

Läck mir! Wir haben die verschwundene Gin-Kugel gefunden!

Er filmt und fotografiert das zeltartige Gebilde. Doch um welche Kugel handelt es sich? Nur die erste Kugel verschwand. Die spätere Ersatzkugel wäre nach so kurzer Zeit kaum so zugewachsen, zudem war dort die Blache weiss und hatte ein grosses Ginial-Logo drauf.

Anruf bei Cello Fisch. Ungläubiges Staunen. «Derzeit ist nur noch eine Gin-Kugel im Bodensee – jene, die seit drei Jahren verschwunden ist!»

Erst nach mehreren Bildern vom Fundort glaubt er es. «Ihr macht mich fertig! – Bist du ganz sicher? Das wäre der Wahnsinn!»

Der Fund ist eindeutig: Die violetten Bandschlingen sind noch erkennbar, unter den Muscheln blitzt ihre Farbe durch. Silvan Paganini kratzt mit dem Roboterarm Muscheln ab, eine schwarze Blache kommt zum Vorschein. «Auch die Befestigung der Blache ist noch erkennbar: Das Spannset liegt noch rund um das Fundament, alles ist jedoch ziemlich im Seegrund eingegraben.» Dennoch dürfe die Kugel als Deliktsgut nicht bewegt werden. Auch eine Markierungsboje will Paganini nicht anbringen: «Dann stiehlt am Ende wirklich noch jemand den Schnaps.»

Seepolizei zieht Gin-Kugel aus dem Wasser

Das St.Galler Tagblatt informiert schliesslich die Kantonspolizei Thurgau über den Fund. Sie will die Kugel nun zwecks Beweissicherung und Sicherstellung mit Tauchern bergen und sie anschliessend dem Besitzer übergeben. Am nächsten Morgen geht die Seepolizei mit zwei Tauchern ins Wasser.

Erst wird eine Boje an den Koordinaten gesetzt, wo die mutmassliche Gin-Kugel liegt. Dann springen zwei Polizeitaucher ins Wasser und nach einigen Minuten taucht eine Boje auf: «Das ist das Zeichen, dass das Objekt gefunden wurde», sagt Robin Bernhardsgrütter, Mediensprecher der Kantonspolizei. Gespannt warten alle darauf, zu sehen, was der Kran des Polizeibootes aus der Tiefe zieht. Schliesslich tauchen erst die violetten Bandschlingen auf und dann eine schwarze Blache voller Quaggamuscheln.

Das nun am 18. Dezember gefundene Objekt.
Das nun am 18. Dezember gefundene Objekt.
Bild: Silvan Paganini

Das Objekt wird in den Werfthafen geschleppt und von Spezialisten des Kriminaltechnischen Dienstes untersucht. «Die Dokumentation fliesst nun in die Ermittlung zum Fall ein», erklärt Bernhardsgrütter.

 

Dann die Gewissheit: Unter der schwarzen Blache kommt die Edelstahlkugel voller Gin zum Vorschein – mit der Metallplakette «Ginial», genau, wie es im Untersuchungsbericht der Polizei steht. Die Besitzer der Gin-Kugel, Jenny Strohmeier und Cello Fisch sind im Hafen und können ihr Glück kaum glauben: «Wir sind einfach sprachlos und können kaum glauben, dass die Kugel wieder da ist. Das kommt völlig überraschend und ist ein Weihnachtswunder!» Das Rätsel um die Gin-Kugel ist nach drei Jahren endlich gelöst.

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